ZWIEFALTEN – Unter dem Motto „Das verflixte siebte Jahr – Neue Orientierung durch Wissen aus Erfahrung“ kamen rund 200 Fachleute aus ganz Deutschland in der Rentalhalle am ZfP-Standort Zwiefalten zur 7. südwestdeutschen StäB-Tagung zusammen. Im Mittelpunkt stand der fachliche Austausch zur Weiterentwicklung der Stationsäquivalenten Behandlung (StäB), die weiterhin als innovatives Behandlungsformat gilt – trotz struktureller Hürden und regional unterschiedlicher Voraussetzungen.
„Nach sieben Jahren ist der erste Schrecken vorbei – aber vielleicht auch der Zauber des Anfangs“, eröffnete Prof. Dr. Gerhard Längle, Ärztlicher Direktor am ZfP Südwürttemberg, die Tagung. „Die Frage ist: Sind wir noch offen für Neues oder schon in der Routine angekommen?“ Ziel der Veranstaltung sei es, vertraute Strukturen aus neuen Perspektiven zu betrachten, sich interdisziplinär auszutauschen und Impulse für die Weiterentwicklung von StäB mitzunehmen.
StäB – also die aufsuchende, vollstationär gleichwertige psychiatrische Behandlung im häuslichen Umfeld – hat sich in vielen Kliniken bewährt. Doch ein flächendeckender Ausbau bleibt aus: Aktuell bieten 58 Erwachsenenpsychiatrien und 12 kinder- und jugendpsychiatrische Einrichtungen StäB an, weitere 18 befinden sich im Aufbau. Ein Grund für die Zurückhaltung liegt in den schwierigen Rahmenbedingungen: „Die Vielfalt der gesetzlichen Vorgaben, die neue jährliche Beantragung der Strukturvoraussetzungen und ein enges Korsett an Abrechnungsmodalitäten hemmen die Entwicklung“, so Längle. „Dabei zeigt sich: StäB ist nicht nur möglich, sondern auch wirksam – wenn die Bedingungen stimmen.“
Eignung des Behandlungsortes: Was ist zu beachten?
Dr. Hubertus Friedrich, Ärztlicher Direktor am ZfP Südwürttemberg, und Pflegedirektor Ralf Aßfalg widmeten sich der Frage, unter welchen Bedingungen eine StäB-Behandlung überhaupt gelingen kann. „Nicht jeder Ort eignet sich für eine aufsuchende Behandlung – die räumlichen und sozialen Gegebenheiten spielen eine zentrale Rolle“, so Friedrich. In der Anfangszeit habe es Zweifel gegeben, ob StäB in einem ländlichen Umfeld wie rund um Zwiefalten überhaupt umsetzbar sei. „Diese Bedenken haben sich nicht bestätigt“, betonte Aßfalg. „Ein Umkreis von 30 Kilometern lässt sich gut versorgen, sofern grundlegende Voraussetzungen stimmen.“ Dazu gehöre unter anderem ein stabiles und möglichst störungsfreies Umfeld: „Ein überforderndes, chaotisches häusliches Setting, starke Verwahrlosung oder hygienische Mängel können eine aufsuchende Behandlung erheblich erschweren – ebenso wie destruktive Bezugspersonen, die den therapeutischen Prozess behindern.“
Einblicke in die Indikationsstellung gab Dr. Frank Schwärzler, Ärztlicher Direktor der PP.rt Reutlingen: „StäB eignet sich nicht für alle, aber für viele – vor allem dann, wenn das psychosoziale Umfeld einbezogen werden kann und keine intensive Überwachung nötig ist.“ Schwieriger wird es bei akuter Suizidalität, starkem Substanzkonsum oder bei Patienten mit Demenz und Weglauftendenz. „StäB ist keine Psychiatrie light“, stellt Schwärzler klar. „Wir brauchen klare Kriterien und viel Erfahrung im Team, um individuell zu entscheiden.“
Was Teams brauchen, um gut zu arbeiten
Eben jene Teams standen auch im Fokus der wissenschaftlichen Empfehlungen aus der Aktiv-Studie, die Pflegedirektor Martin Holzke und Anna Heinsch, pflegerische Leitung der Allgemeinpsychiatrie Wangen, präsentierten. Die Studie belegt die Wirksamkeit von StäB – unabhängig von der genauen Ausgestaltung. Entscheidend sei die Motivation der Mitarbeitenden: „Hohe Zufriedenheit besteht vor allem dann, wenn das Team aus eigener Initiative in die StäB-Arbeit wechselt“, so Heinsch. Weitere Erfolgsfaktoren seien eine gute technische Ausstattung, ein funktionierender Informationsfluss und ausreichend Entscheidungsspielräume. „Die Organisation muss zum Team passen – nicht umgekehrt“, resümiert Holzke.
In kurzen Blitzlichtern wurden innovative Aspekte wie KI-gestützte Tourenplanung, Intervallbehandlung und ergotherapeutische Perspektiven vorgestellt. Besonders letztere zeigt das Potenzial der StäB-Arbeit im Alltag: „Ergotherapie gehört dorthin, wo Menschen leben“, war eine zentrale Botschaft. Am Nachmittag vertieften sieben Workshops zentrale Fragestellungen, unter anderem zur StäB in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Alterspsychiatrie, zur Indikationsstellung und zur Berufsgruppenspezifik. StäB-Einsteiger:innen konnten in einem speziellen Workshop Grundlagen und Stolpersteine kennenlernen, während erfahrene Kolleg:innen sich über komplexe Fälle austauschten. Auch Themen wie interdisziplinäre Zusammenarbeit oder die Rolle der Ergotherapie fanden Raum.
Die Tagung endete mit einer kurzen, pointierten Zusammenfassung durch Prof. Dr. Gerhard Längle. In seinem Fazit hob er die hohe fachliche Dichte, den kollegialen Austausch und die spürbare Praxisnähe der Diskussionen hervor. Die große Bandbreite an Perspektiven – von erfahrenen Teams bis zu Neueinsteigenden – habe deutlich gemacht, wie vielfältig und zugleich herausfordernd StäB im Alltag ist. Gleichzeitig richtete er den Blick auf die Zukunft: „Die Diskussionen heute haben gezeigt, welche Themen uns weiterhin beschäftigen werden – sei es die rechtliche Grundlage, die Struktur, die Teamorganisation oder die Indikationsstellung. Wir bleiben dran – mit offenem Blick, neuen Fragen und viel Erfahrung im Gepäck.“