Gemeinsam mit der Stadt Ravensburg lud das ZfP Südwürttemberg am 27. Januar, dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, in den Festsaal Weissenau ein. Rund 200 Interessierte nahmen an der Gedenkfeier teil. Im Mittelpunkt stand in diesem Jahr die engagierte Spurensuche von Menschen, die Verwandte hatten, welche im Zuge der „Euthanasie“-Verbrechen ermordet wurden.
ZfP-Regionaldirektor Prof. Dr. Juan Valdés-Stauber begrüßte die rund 200 Gäste im Festsaal Weissenau. Er sagte: „Erinnerung besteht nicht nur aus wohl gewählten Worten und eindrücklichen Bildern, sondern auch aus starken Ritualen – die 691 Glockenschläge von der Münsterkirche, die an die 691 Opfer der sogenannten ‚Euthanasie‘ der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Weissenau erinnern, sind ein solch starkes Ritual.“
Prof. Dr. Thomas Müller, Leiter der ZfP-Abteilung Bildung und Wissen, betonte in seiner Hinführung zum Thema, dass in der deutschen Gesellschaft der Respekt zueinander sinkt und Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zunehmen. Und er machte den Gegenwartsbezug und die Bedeutung der Erinnerungskultur deutlich: „Statistisch gesehen hat jeder achte Deutsche einen Verwandten unter seinen Vorfahren, der Opfer der sogenannten ‚Euthanasie‘ wurde. Es vergeht im Schnitt keine Woche, in der sich nicht Menschen an uns wenden in der Hoffnung, etwas über das Schicksal von Angehörigen zu erfahren, die während des Nationalsozialismus als psychisch krank oder geistig behindert in einer Heil- und Pflegeanstalt waren.“
Bei der Gedenkfeier wurden Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm „Das Schweigen brechen“ von Robert Domes gezeigt. Der Film schildert die Suche nach Antworten durch eine Münchner Gruppe von Angehörigen von NS-„Euthanasie“-Opfern und gibt dabei Einblicke in das perfide Mordsystem der Nationalsozialisten wie auch in die daraus entstandenen Traumata in den betroffenen Familien. Im anschließenden Podiumsgespräch kamen der Regisseur selbst zu Wort sowie Barbara Baum und Eva Belohradsky, Mitglieder der seit 2015 bestehenden Angehörigen-Initiative.
Belohradsky sagte: „Es geht uns darum, den Opfern ein Gesicht und ihnen Namen zu geben, sie zu würdigen. Erinnerung ist ein maßgeblicher Teil eines Menschen, einer Familie, einer Gesellschaft. Und Erinnerungskultur ist für mich auch Zivilcourage.“ Regisseur Domes betonte: „Wenn ich es schaffe, dass meine Geschichte, egal ob mittels Text, Vortrag oder Film erzählt, von Neuntklässlern verstanden wird und sie sich dadurch Gedanken darüber machen, wie wir im Hier und Heute miteinander umgehen, dann habe ich mein Ziel erreicht.“
Oberbürgermeister Rapp: „Zu viele Reflexe“
Bei der anschließenden Kranzniederlegung am Denkmal der grauen Busse sagte Ravensburgs Oberbürgermeister Dr. Daniel Rapp: „Warum stehen wir heute hier? Weil die Opfer es verdient haben, dass wir uns an sie erinnern. Und weil solche Veranstaltungen wichtig für die Bildungsarbeit sind: Wir müssen junge Menschen ansprechen und die Bezüge zur Gegenwart, die es ja noch zuhauf gibt, herstellen – das macht diese Verbrechen konkreter.“ Rapp betonte: „Es gibt zu viele Reflexe; einer davon ist der, andere Meinungen direkt abzutun. In der breiten Mitte der Gesellschaft müssen wir menschlich und tolerant miteinander reden – Diskurs muss möglich sein.“
In der Woche vor dem Gedenktag hatte das ZfP Südwürttemberg wieder zu Veranstaltungen für Schülerinnen und Schüler in den Weissenauer Hörsaal eingeladen. Mehr als 200 junge Menschen nahmen gemeinsam mit ihren Lehrkräften daran teil. Noch bis zum 28. Februar wird im Foyer von Haus 42 (Zentralgebäude) am ZfP-Standort Weissenau die Wanderausstellung „Psychiatrie und Nationalsozialismus im deutschen Südwesten am Beispiel Zwiefalten, 1933-1945“ des Württembergischen Psychiatriemuseums gezeigt. Besichtigt werden kann die Ausstellung werktags von 8 bis 17 Uhr, der Eintritt ist frei.
Seit 1996 ist der 27. Januar der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, an dem bundesweit an die Geschehnisse der damaligen Zeit erinnert wird. Das ZfP Südwürttemberg am Standort Weissenau richtet jährlich im Wechsel und zusammen mit der Stadt Ravensburg eine Gedenkfeier aus, um an die zahlreichen psychisch kranken und geistig behinderten Menschen zu erinnern, die von medizinischem Personal während der Jahre des Nationalsozialismus ermordet wurden.