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20 Jahre Jugendsuchtbehandlung /

Eine Frau am Rednerpult stehend mit Mikrofon in der Hand hält vor mehreren Zuhörinnen und Zuhörern einen Vortrag, rechts hinter ihr auf einer Leinwand ist eine Powerpoint-Präsentation zu sehen.

Prof. Dr. Renate Schepker referierte über die Entwicklung der Jugendsuchtbehandlung und die Erkenntnisse aus 20 Jahre clean.kick.

Die Jugendsuchtbehandlung des ZfP Südwürttemberg in Mariatal hat ihr 20-jähriges Bestehen gefeiert. 2002 als Modellprojekt eröffnet, war die Station clean.kick die erste ihrer Art in Baden-Württemberg, inzwischen ist sie elementarer Bestandteil der Regelversorgung. 2010 folgte die Station clean.kids für jüngere Kinder und Jugendliche mit Substanzkonsum.

Anlässlich des Jubiläums verfolgten am 18. Oktober rund 70 Zuhörerinnen und Zuhörer in der Alten Schwimmhalle am ZfP-Standort Weissenau zwei spannende Vorträge zum Thema. Anschließend bot sich die Gelegenheit, die Stationen clean.kick und clean.kids zu besichtigen und sich im festlichen Rahmen auszutauschen. Dr. Thilo Walker, Abteilungsleiter Gesundheit im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration, konnte krankheitsbedingt leider nicht persönlich anwesend sein, sein schriftliches Grußwort verlas Robert Benz, therapeutischer Leiter von clean.kick.

Der Ministerialdirigent gratulierte herzlich und dankte allen Beteiligten für das erbrachte Engagement gepaart mit hoher Fachlichkeit und Innovationslust: „20 Jahre Jugendsuchtbehandlung, das ist schon ein Wort! Und aktuell ist dieses Angebot wichtiger denn je – gerade in Krisenzeiten, in denen viele Kinder, Jugendliche und Eltern belastet sind und auch die sie unterstützenden System an ihre Grenzen kommen. Mariatal ist ein wichtiger und inzwischen mehr als bewährter Baustein, um bei bereits im Kindes- und Jugendalter einsetzendem problematischem Substanzkonsum an einem geschützten Ort mit klaren Strukturen möglichst früh Hilfestellung für den Weg aus der Suchtentwicklung geben zu können.“

Die Corona-Pandemie habe im Übrigen besonders deutlich gemacht, dass Kinder und Jugendliche besser in den Blick genommen werden müssen. Auf die anstehende Cannabis-Legalisierung blicke man hinsichtlich des Cannabis-Konsums von Jugendlichen mit Sorge.

Prof. Trost: Sucht als Bindungsstörung

Auf die ministerialen Grüße folgte ein spannender Vortrag von Prof. Dr. Alexander Trost. Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sprach zum Thema „Zwischen Beziehung, Halt und Lösung: Bindungsorientierte Suchtbehandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ und ging im Folgenden auf einige bedeutsame Kontext-Faktoren ein, welche die Entwicklung des Menschen maßgeblich beeinflussen. „Damit Menschen gut mit sich und anderen in Kontakt sein, Impulse, Affekte und Stress regulieren, lern-, arbeits-, beziehungs- und kooperationsfähig sein können“, bedürfe es bestimmter Voraussetzungen: „Wir leben von Anfang an von Resonanz, Anerkennung und emotionaler Spiegelung. Dies wird in einer responsiven frühen Eltern-Kind-Interaktion verwirklicht und ist die Grundlage einer sicheren Bindung.“ 

Von der Bindungsentwicklung abhängig wiederum sei die individuelle Befähigung zur Selbstregulation, Selbstorganisation und Sinngenerierung. Es entstehe ein „inneres Arbeitsmodell“: Bei sicher gebundenen Kindern funktioniere dieses als sichere Basis, von der aus sie ihre Umwelt erkunden und begreifen können. Substanzabhängigen Kindern und Jugendlichen fehle es in aller Regel an sicherer Bindung.

Ursachen aller psychischen Störungen inklusive Substanzmissbrauchs seien neuesten Erkenntnissen zufolge unter anderem: „Traumatisierung der Mutter vor und in der Schwangerschaft sowie Trauma-Erfahrungen des Kindes in den ersten zwei bis drei Lebensjahren.“ Es bestehe ein klarer Zusammenhang zwischen ängstlich-vermeidender Bindung und Drogenabhängigkeit – der Konsum diene der emotionalen Regulation, die Abhängigkeit stelle letztlich einen „entgleisten Bewältigungsversuch“ dar.

Prof. Schepker: Bezugspersonen als Hoffnungsträger

Prof. Dr. Renate Schepker, Chefärztin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie im ZfP Südwürttemberg, referierte anschließend unter dem Titel „Dope – no hope? Die Geschichte einer kontinuierlichen Widerlegung“ über die Entwicklung der Jugendsuchtbehandlung in Deutschland im Allgemeinen sowie über das Konzept von und die Erkenntnisse aus 20 Jahre clean.kick im Besonderen. Was haben wir von Beginn an anders gemacht, fragte Schepker und gab sogleich diese Antworten: „Eine offene, freiwillige Behandlung, eine lange Verweildauer, Motivation als Ziel, partizipatives Aushandeln, stetiges Hinterfragen und Fortbilden, begleitendes Forschen.“

Vieles habe sich also bewährt, Manches habe man dazugelernt. 2005, drei Jahre nach dem Kick-off als Modellstation, wurde clean.kick zur Regelversorgung, 2007 bereits wurde die 1000. Basisdokumentation angelegt. Schepker sprach über die Veränderungen im therapeutischen Setting und stellte die 2002-6 quantitativ gestellten Diagnosen jenen aus 2021-22 gegenüber: „Weniger Alkohol, mehr Kokain, mehr und stärkeres THC.“ Augenscheinlich seien zudem schwere Entzugserscheinungen häufiger geworden. 

Darüber hinaus habe man außer vielen neuen Vokabeln über die Jahre gelernt: „Therapie-Abbrüche sind nicht häufiger geworden, Mädchen sind nicht schwerer betroffen als Jungen, ADHS und Sucht sollten gleichzeitig behandelt werden, Kokain macht schwer abhängig und Cannabis vermindert die Lernfähigkeit.“ Und was sich nicht verändert habe? „Eindeutig bewährt hat sich unser handlungsorientierter Ansatz, das Arbeiten mit Rückmeldungen sowie das Konzept mit Bezugspersonen, welche als Hoffnungsträger des Selbstbildes der Kinder eine zentrale Rolle bei der Behandlung einnehmen.“

Bevor es zu den Stationsführungen nach Mariatal ging, gab es eine Vorführung aus dem Bereich Anti-Stress-Training (AST). Außerdem hatten im Vorfeld zahlreiche Behandelte ihre besten Wünsche und manche Kritik zum 20-Jährigen der Jugendsuchtbehandlung aufgeschrieben – diese wurden nun von Mitarbeitenden und manch mutigen Jugendlichen selbst verlesen. Ein Ständchen der Kolleg:innen von clean.kick und clean.kids sorgte für den stimmungsvollen Abschluss.




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