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Das Wissen nutzen, die Erinnerung weitertragen /

Eine Frau steht an einem Pult, zwei weitere Frauen stehen links im Bild.

Schülerinnen und Schüler der Klasse R10 der Münsterschule wirkten bei der Gedenkfeier mit.

Wie wichtig es ist, sich mit den menschenverachtenden Taten der Nationalsozialisten auseinanderzusetzen und gegen das Vergessen anzugehen, wurde beim Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus des ZfP Südwürttemberg und der Gemeinde in Zwiefalten deutlich.

Einige aktuelle politische Entwicklungen würden uns helfen zu verstehen, wie es zu einer Herrschaft wie die der Nationalsozialisten kommen konnte, gab der Regionaldirektor Alb-Neckar und stellvertretende Geschäftsführer des ZfP, Prof. Dr. Gerhard Längle, zu Beginn der Veranstaltung zu Bedenken. Als Beispiele für eine Veränderung des Denkens und des Argumentierens nannte er unter anderem die „America first“-Politik von Donald Trump, die steigende Wählerzahl rechtsnationalistischer Parteien oder die Flüchtlingswelle, die Bundesminister Seehofer als „Mutter aller Probleme“ bezeichnete. Zur NS-Zeit sei es kaum möglich gewesen, sich der vorherrschenden Argumentationskette zu entziehen. Ein Beispiel fand Längle auch in seinem Familienstammbaum. So habe sich sein Großonkel zwar klar zu psychisch Kranken bekannt und mutige Aussagen getroffen, trotzdem beinhaltete eine wissenschaftliche Untersuchung von ihm aus dem Jahr 1938 auch viele Vorannahmen und Unterstellungen, wie zum Beispiel die Schichtung der Gesellschaft. „Es ist wichtig, dass wir uns alle immer wieder fragen, welche ideologischen Annahmen wir akzeptieren.“ Längle plädierte dafür, allen „Ismen“ zu widerstehen und frühzeitig zu widersprechen: „Unsere Wachsamkeit ist wichtig.“

Dr. Bernd Reichelt vom Forschungsbereich Geschichte der Medizin verdeutlichte die Lage psychisch Kranker und jüdischer Menschen zur NS-Zeit: „Sie waren gleich doppelt stigmatisiert.“ Anhand von Beispielen aus dem nahen Bad Buchau und Buttenhausen zeigte Reichelt die Entwicklung der Lage derer auf, die schon früh als Menschen zweiter Klasse galten. So berichtete er unter anderem von den Zweitnamen „Sara“ und „Israel“, den Juden annehmen mussten, über die Weigerung der Krankenhäuser und Hilfseinrichtungen Juden aufzunehmen sowie über die erste Deportation von Patientinnen und Patienten der damaligen Heilanstalt Zwiefalten nach Grafeneck 1940. Nicht jüdische Patienten seien nach ihren Heilungsmöglichkeiten bewertet worden, jüdische hätten mit ihrer Abstammung bereits ihr Todesurteil unterzeichnet.

Die Schülerinnen und Schüler der Klasse R10 der Münsterschule hatten sich im Vorfeld ausführlich mit der NS-Zeit auseinandergesetzt: Mit der Wannseekonferenz 1942 hin zu den 6 Millionen jüdischen Opfern. „Es ist ein Versuch, das Unverständliche zu verstehen, das Unbegreifliche zu begreifen, das nicht zu Ertragende zu ertragen.“ Die Schüler hatten zwei Vierecke aus Milchglas auf der Bühne aufgebaut, die von der Rückseite angeleuchtet wurden. Das eine, komplett mit schwarzer Pappe beklebte Viereck sollte für die dunkle Seite der jüdischen Geschichte stehen. Nacheinander trugen die Schüler solche „dunklen Ereignisse“ vor. Drei Schicksale standen dabei im Mittelpunkt: Das von Ilse Kirchheimer, Ruth Cohn und Julius Stern. Sie alle waren zeitweise in der damaligen Heilanstalt Zwiefalten untergebracht und wurden am Ende in ein Konzentrationslager deportiert und dort ermordet. Nach jedem vorgetragenen Ereignis entfernten Schülerinnen ein Stück der schwarzen Pappe, bis am Ende ein schwarzer Davidstern übrig blieb: zum Gedenken an die drei Schicksale. „Wozu nutzt dieses Wissen?“, fragten die Schülerinnen und Schüler. Und beantworteten schließlich selbst: „Wir müssen das Licht der Erinnerung weitertragen.“ So trugen sie „Lichtpunkte“ vor, unter anderem den Artikel 1 aus dem Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention und den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Dabei beklebten sie das helle Viereck mit grünen Pappstücken – bis am Ende auch hier ein Davidstern zu sehen war. „Dieser Stern soll uns durch die guten Seiten des Lebens steuern.“

Es folgte ein Lied von Udo Lindenberg: „Komm wir ziehen in den Frieden. Wir sind mehr als du glaubst. Wir sind schlafende Riesen, aber jetzt stehen wir auf“, sangen die Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit der Gruppe Feuervogel, die die Gedenkfeier musikalisch begleitete. Bereits die ersten Stücke von Feuervogel, das jüdische Lied „Donna Donna“ und das Lied „Bin ein Fremder“ von Klaus Hoffmann, unterstrichen die Stimmung des Gedenktags angemessen.

Anschließend gingen viele der rund 230 Gäste zum ehemaligen Anstaltsfriedhof. Für die Gemeinde Zwiefalten sprach Maria Knab-Hänle: „10.654 Menschen sind in Grafeneck zu Tode gekommen, nur weil sie anders waren. Diese Schreckenstaten dürfen nicht vergessen werden.“ Knab-Hänle wendete sich an die Schüler. Die meisten seien aus der „Generation Z“ und daher mit der Fülle an Informationen aus dem Internet großgeworden. Dennoch wüssten viele junge Menschen nichts über den Holocaust. Heutzutage müsse erinnert werden, um zu wirken und der Wiederholungsgefahr entgegenzutreten: „Genau das habt ihr mit euren Unterricht und eurer Präsentation getan.“ Pastoralreferentin Hildegard Jakob lud zur abschließenden Besinnung ein. Sie betonte: „Von dem, was man heute denkt, hängt das ab, was man morgen tut.“ Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten, die nicht auszudenken sind, seien damals Wirklichkeit geworden. Dieses unvorstellbar Unmenschliche solle uns mahnen und mobilisieren. „Es sollte alle Kräfte binden in ein entschiedenes: Nie wieder.“




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