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32. Jahrestagung der Kinder- und Jugendpsychiatrie /

Ein Redner im dunklen Anzug steht in einer Veranstaltungshalle am Rednerpult, an der Leinwand hinter ihm ist eine PowerPoint-Präsentation zu sehen, im Vordergrund Zuhörer:innen.

Prof. Dr. Jörg M. Fegert vom Universitätsklinikum Ulm ging in seinem Beitrag auf das seit zehn Jahren geltende Patientenrechtegesetz ein.

Mitwirken, mitreden und auch mit entscheiden: Die 32. Jahrestagung der Kinder- und Jugendpsychiatrie im ZfP Südwürttemberg drehte sich um das Thema Partizipation.

„Partizipation lässt zusammenkommen, was zusammengehört beziehungsweise zusammengehören sollte“, sagte Prof. Dr. Juan Valdés-Stauber. Der Regionaldirektor Ravensburg-Bodensee im ZfP Südwürttemberg betonte in seiner Begrüßungsrede die politische, soziologische und anthropologische Dimension von Teilhabe: „Es handelt sich um einen demokratischen, humanistischen Begriff, welcher nicht nur eine Rechte-Zuschreibung bedeutet, sondern im Sinne von Empowerment auch den Willen beinhaltet, Verantwortung in eigener Sache zu übernehmen.“ 

Dr. Sabine Müller, Chefärztin der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters im ZfP Südwürttemberg, sagte im Anschluss: „Wir nehmen uns dieses Themas an, da wir als klinisch Tätige das Potenzial der Kinder und Jugendlichen mehr berücksichtigen und einbeziehen sollten.“ Müller hat vor kurzem erst die Ärztliche Leitung von Prof. Dr. Renate Schepker übernommen. Zu ihrer neuen Führungsrolle sagte sie: „Mein Hauptfokus liegt auf einer sehr guten, leitliniengerechten und individuellen klinischen Behandlung und auf dem Kindeswohl. Unsere Patientinnen und Patienten sollen bei uns einen Schutzraum haben. Außerdem lege ich Wert auf gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden und eine wertschätzende, transparente Führungs- und offene Fehlerkultur.“ 

Müller stellte zudem ein spannendes Buchprojekt vor: Unter dem Titel „Abtauchen und auftauchen“ sind Texte und Zeichnungen von Kindern und Jugendlichen versammelt, welche in der Schreibwerkstatt der Hans-Lebrecht-Schule der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Ulm entstanden sind. Die Werke geben wieder, wie die jungen Menschen psychische Krisen erlebten, was sich durch eine stationäre Behandlung geändert hat und mit welchen Problemen sie weiter zu kämpfen haben.

Müllers ehemaliger Vorgesetzter, der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm Prof. Dr. Jörg M. Fegert, ging im Folgenden auf das seit zehn Jahren geltende Patientenrechtegesetz ein sowie der Frage nach, welche Veränderungen es bewirkte und wie es um das Thema Teilhabe heute überhaupt steht. Fegert beschrieb die Entwicklung der Teilhabebestimmungen und schilderte seine Erkenntnisse aus der Corona-Pandemie, er ging auf die Bedeutung des individuellen Grads der Einwilligungsfähigkeit sowie auf die Notwendigkeit einer altersgerechten Informierung von Kindern und Jugendlichen hinsichtlich einer Behandlung ein.

Fegert sagte: „Die Corona-Pandemie hat stark dazu beigetragen, die Allgemeinbevölkerung für die Bedeutung ärztlicher Aufklärung zu sensibilisieren. Gleichzeitig haben massiv digitale Fehlinformationen sowie Stigmatisierungen und Selbststigmatisierungen zugenommen.“ Er betonte die Notwendigkeit gesicherter Gesundheitsinformationen und sprach sich für den Aufbau trialogischer partizipativer Strukturen auch in der Kinder- und Jugendmedizin und insbesondere in der -psychiatrie aus.

Chefarzt Dr. Ingo Spitczok von Brisinski von der LVR-Klinik Viersen und die freiberufliche Fachjournalistin sowie EX-IN-Trainerin Bettina Jahnke erläuterten anschließend das Modell des Peer Counseling und berichteten von ihren Erfahrungen in der stationären Behandlung von Jugendlichen mit Abhängigkeitserkrankungen sowie aus ihrer Arbeit auf der Eltern-Kind-Station. Bezüglich des Einbezugs von Ex-Konsument:innen sagte Spitczok von Brisinski: „Bei ambulanten Vorgesprächen bezüglich einer stationären Aufnahme sind Genesungsbegleitende insbesondere bei hochambivalent motivierten Patientinnen und Patienten, aber auch Aufnahmen gegen den Patientenwillen sehr hilfreich. Die kommunizierte Tatsache, dass der Genesungsbegleiter erfahrener Ex-Konsument ist, führt zu deutlich erhöhter Autorität und Glaubwürdigkeit.“

Jahnke ergänzte bezüglich ihrer Peer-Arbeit seit 2011: „Man muss konzeptionell flexibel bleiben und vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen: Vorbehalte offen ansprechen, Zeit zum Kennenlernen geben und den Mehrwert verdeutlichen. Transparenz ist wichtig und dass die Zielgruppe mithilfe von Vorabinformationen und Einzelgesprächen abgeholt wird.“

Frank Happich, Pflegerisch-Pädagogischer Leiter der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am ZfP Südwürttemberg ging auf die diversen Spannungsfelder wie etwa jenes das Grundrecht und die Pädagogik betreffende ein, welche in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bestehen. Diese brächten Besonderheiten und Herausforderungen für den Pflege- und Erziehungsdienst (PED) mit sich. Er zeigte auf: „Jugendliche erzwingen Autonomie als wesentliche Entwicklungsaufgabe. Dem gegenüber stehen die vom PED umzusetzenden Alltagsstrukturen, die Aufsichtspflicht sowie die Notwendigkeit, Grenzen zu setzen.“

Anschließend zeigten zwei Mitarbeitende des PED gemeinsam mit zwei jugendlichen Patienten eine Vorführung zum in der Abteilung angebotenen Anti-Aggressionstraining (AST). Danach befragten Mitarbeitende in Form eines Podiumsgesprächs mehrere Jugendliche, die momentan stationsäquivalent oder stationär behandelt werden, zu ihren Vorstellungen und Wünschen bezüglich Teilhabe. Die sehr reflektierten Aussagen etwa bezüglich Smartphone-Nutzung oder Zigaretten-Konsum verdeutlichten noch einmal das Spannungsfeld, in dem sich das Mitsprechen und Mitentscheiden lassen im Behandlungssetting der Kinder- und Jugendpsychiatrie bewegt. Für ihren Mut, vor Publikum etwas vorzuführen und persönliche Sichtweisen zu äußern, erhielten die Jugendlichen langanhaltenden Applaus.

Michael Friedrich-Gaire, Verfahrensbeistand am Amtsgericht Tettnang, erläuterte Schritt für Schritt die Vorgehensweise im Zuge eines Unterbringungsverfahrens sowie seine Rolle dabei. Zentrale Aufgabe sei es, die Rechte des Kindes im Verfahren zu wahren und zu stärken: „Wie kann dem Kind oder der/dem Jugendlichen, dem Alter und Entwicklungsstand entsprechend, ausreichend zum rechtlich vorgesehen Gehör verholfen werden?“ Wichtig sei es unter anderem, dass die Verfahrensgarantien eingehalten werden und dass der Grundrechtsschutz auch im Kriseninterventionsrahmen gewährleistet ist.

Die ehemalige Chefärztin Prof. Dr. Renate Schepker gab einen spannenden Einblick in die Reaktionen von ehemaligen Patient:innen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, wenn sie ihre Akte von damals zu lesen bekommen. Manche können sich an fast nichts mehr erinnern, andere bezweifeln die damalige Diagnose, wieder andere sehen die Behandlung als Wende hin zum Guten an. Vor dem Hintergrund biografischer Leerstellen schloss Schepker mit der Frage: „Passt das Erkenntnissinteresse von Patient:innen im Alter von 50 bis 75 Jahren zu der Vorgabe, dass die Akten, mit Ausnahme historisch repräsentativer, nach 30 Jahren zu vernichten sind?“




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