Verschiedene Zeitschriften und Flyer liegen auf einer Bank.

Presse-
mitteilungen /

Pressemitteilungen /

Vorbehalte nehmen /

Elke Maisch (untere Reihe, rechts) begrüßte die Klasse 9b im ZfP.

Was bedeutet es, psychisch krank zu sein? Was verstehen wir überhaupt unter „normal sein“ und wann ist man krank?  Antworten auf diese und weitere Fragen erhielten die Klassen 9a und 9b der Jakob-Emele-Realschule während der Antistigma-Tage im ZfP Südwürttemberg in Bad Schussenried.

„Schön, dass ihr euch darauf einlasst“, begrüßte die evangelische Seelsorgerin des ZfP Südwürttemberg am Standort Bad Schussenried Elke Maisch die 25 Schülerinnen und Schüler der Klasse 9b der Jakob-Emele-Realschule. Eine Woche später besuchte die Parallelklasse 9a ebenfalls das ZfP. Diesen Tag begleitete die katholische Seelsorgerin Barbara John. Maisch und John empfingen ihre Gäste im ZfP-Andachtsraum. Sie wollten von ihnen wissen: Was hört man den „draußen“ übers ZfP? Was über die Patienten? Welche psychischen Erkrankungen kennt ihr? Die Jugendlichen sollten zunächst bei Musik querbeet durch den Raum laufen. Sobald die Musik stoppte, fanden sie sich in kleinen Gruppen zusammen und diskutierten die Fragen. Alle Antworten wurden hinterher in großer Runde besprochen. „Ein paar Patienten laufen auch in der Stadt herum“, wusste ein Schüler zu berichten. Eine andere Schülerin ergänzte: „Manche Verhaltensweisen sind lustig, andere verunsichern.“ Maisch und John erklärten den Jugendlichen, welche psychischen Erkrankungen dahinter stecken könnten und welche Verhaltensweisen sich manchmal ergeben.

Was wir so „normal“ nennen

Die Seelsorgerinnen legten ein langes Seil auf den Boden des Andachtsraumes. Dann erhielten die Schülerinnen und Schüler Karten mit Begriffen wie „Zittern“, „Höhenangst“, „30-mal die Hände waschen“ oder „schlechte Stimmung“. Der Anfang des Seiles wurde mit „noch normal“ beschriftet, das Ende mit „krank“. Die Jugendlichen sollten nun alle Karten an dem Seil anordnen, je nachdem wie „normal“ oder „krank“ sie das jeweilige Verhalten einschätzten. „Gar nicht so einfach“, kommentierte ein Schüler. Das bestätigten auch die Seelsorgerinnen in der anschließenden Besprechung. „Wir werfen die Begrifflichkeiten gesund, normal und krank oft durcheinander.“ Drei Bier an jedem Abend mögen für manche „normal“ sein, aber ist das gesund? Die Übergänge von gesund zu krank seien oft fließend. Jeder Mensch könne Symptome entwickeln. Eine Fachärztin für Psychiatrie berichtete in der anschließenden Fragerunde, dass etwa 20% der Menschen in ihrem Leben eine Depression entwickeln. Die Psychiaterin merkte an, dass die Ursachen für psychische Erkrankungen vielfältig und manchmal unklar seien. Und ob jemand behandlungsbedürftig ist, werde unter anderem daran festgemacht, ob die betroffene Person ihren Alltag meistern und sich selbst versorgen kann. Sie betonte: „Manches Symptom hat man manchmal, da ist man dann aber nicht gleich schon psychisch krank.“

Einblicke in die Suchtabteilung

Die Klasse 9b besuchte zudem die Abteilung für Suchterkrankungen. Der pflegerische Leiter Ulrich von dem Berge führte die Gruppe durch die Räumlichkeiten der Stationen und zeigte zum Beispiel ein Patientenzimmer und die Therapie- und Behandlungsräume. Dabei informierte von dem Berge über die unterschiedlichen Krankheitsbilder und deren Behandlung. Rund 1000 Abhängigkeitskranke würden hier jährlich behandelt und auf ihrem Weg in die Abstinenz unterstützt, bei dem Rückfälle jedoch auch dazugehörten. Wie schwer der Weg zu einem Leben ohne Alkohol, Drogen oder Medikamente sein kann, erfuhren die Schülerinnen und Schüler anschließend aus erster Hand von zwei Patienten. Offen stellten sich die Männer den Fragen der Schulklasse und berichteten, wie es bei ihnen zu einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit kam, wie das Umfeld damit umging oder wie sich Entzugserscheinungen anfühlen.

Einblicke in die forensische Klinik

Mit Spannung erwarteten die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9a die Informationen über die Forensische Klinik. Harald Nessensohn, pflegerischer Leiter der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Bad Schussenried, informierte die Jugendlichen über die Voraussetzungen für eine Unterbringung im Maßregelvollzug. Hierzu erklärte er die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Frage nach der Schuldfähigkeit und die Behandlungsmöglichkeiten. Rund vier bis fünf Jahre seien Menschen, die aus ihrer psychischen Erkrankung heraus eine schwere Straftat begangen haben, im Maßregelvollzug untergebracht. Anschließend lud Nessensohn die Jugendlichen zu einer Führung über eine forensische Station, den Garten und die Arbeitstherapie ein. Entscheidend seien in der forensischen Klinik die Therapie im Milieu, Beziehungsarbeit und die Aufarbeitung des Delikts. In der Arbeitstherapie produzieren oder montieren die Patientinnen und Patienten Geräte und Teile für externe Auftraggeber. Nach dem Mittagessen im Personalcasino konnten die Schülerinnen und Schüler mit zwei Psychiatrieerfahrenen ins Gespräch kommen, die vor mehreren Jahren an einer Psychose gelitten hatten. Sie erfuhren von den beiden Besuchern, wie sich das Stimmenhören anfühlte, was damals Angst gemacht hat und was ihnen half. Auch wie Freunde und Familie jeweils mit der Erkrankung umgingen.

Verändertes Bild

Seit rund 15 Jahren gibt es die Antistigma-Tage als Kooperationsveranstaltung zwischen dem ZfP Südwürttemberg und Schussenrieder Schulen bereits. Fast jedes Jahr laden die Klinikseelsorgerinnen die Schüler eines neunten Jahrgangs des Gymnasiums, der Realschule oder der Werkrealschule ein. Die Antistigma-Tage informieren, klären auf und sollen damit der Stigmatisierung psychisch Kranker entgegenwirken. „Sie hatten eine Vorstellung von der Klinik. Hat sich dieses Bild verändert?“ wollten die Seelsorgerinnen am Ende des Besuches von den Schülerinnen und Schülern wissen. „Man denkt an eine eingezäunte Anstalt, aber hier war alles offen, auch die Räume“, meinte eine Schülerin. „Mir ist bewusst geworden, dass das es jeden treffen kann“ ergänzte ein anderer Jugendlicher. „Das sind ganz normale Menschen. Wenn man jemand psychisch Kranken begegnet, erkennt man das halt nicht gleich.“




Unsere Publikationen /