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„Wir müssen noch viel mehr über Suizid sprechen“ /

Prof. Andreas Mockenhaupt, Angehöriger nach Suizid, Simone Binder, Fachkrankenschwester der Depressionsstation in Bad Schussenried, Dr. Bettina Jäpel, Chefärztin der Allgemeinpsychiatrie des ZfP Südwürttemberg in Bad Schussenried, Martha Wahl, Fachärztin für Psychiatrie und Angehörige nach Suizid, und der Suizid-Erfahrene Stefan Lange (von links) diskutierten in der Podiumsdiskussion über das Thema Suizid.

Wie gehen Angehörige, Ärzte oder Bekannte und Freunde damit um, wenn sich ein Mensch das Leben nimmt? „Man muss über Suizid reden“, waren sich Veranstalter und Referenten des Aktionstages rund um das Thema Suizid am vergangenen Dienstagabend im Gustav-Mesmer-Haus in Bad Schussenried einig.

„Suizid ist ein belastendes Thema, das uns alle bewegt – sowohl die Gesellschaft als auch uns in der Psychiatrie Tätige“, erklärte Dr. Bettina Jäpel, Chefärztin der Allgemeinpsychiatrie des ZfP Südwürttemberg in Bad Schussenried, in ihrer Begrüßung der etwa hundert Interessierten. Einem Suizid gehe ein langer Leidensweg der Betroffenen selbst voraus und hinterlasse tiefe Spuren bei Angehörigen, so die Psychiaterin. Das Thema Suizid zu enttabuisieren, könne helfen, damit umzugehen. So kamen bei der Veranstaltung vor allem Betroffene zu Wort.

Stefan Lange berichtete von seinem Suizidversuch und wie er und sein Umfeld damit umgingen. Im Zuge dessen stellte er Sequenzen seiner Youtube-Filmreihe „Komm, lieber Tod“ vor, in der er über seine Gefühle und Gedanken sowie über die Scham spricht. In seinem anschließenden Impulsreferat betonte der Suizid-Erfahrene: „Wir müssen noch viel mehr und offener über Suizid sprechen.“ In der Gesellschaft finde keine Diskussion darüber statt. „Suizid ist kein Tabuthema, sondern ein ganz wichtiges Thema.“

Als Angehöriger nach Suizid sprach Prof. Andreas Mockenhaupt und erzählte sehr bewegend über seine Tochter, die sich vor wenigen Jahren entschloss, zu sterben. Der Freitod kam unerwartet für die Familie und Freunde und man suchte lange nach einem Grund, berichtete Mockenhaupt. Diese Suche und Schuldzuweisungen seien retrospektiv nicht hilfreich gewesen. Das Sprechen mit anderen Betroffenen und die Unterstützung von Bekannten, Freunden und Angehörigen sowie des Selbsthilfevereins „Angehörige um Suizid“ (AGUS) gaben ihm und der Familie Halt und Trost. Was kann man präventiv tun? Mockenhaupt appellierte, achtsam gegenüber seinen Mitmenschen zu sein. „Wenn einem etwas komisch vorkommt, dann muss man das ansprechen.“

Dr. Bettina Jäpel schilderte ihre Erfahrungen in der Begleitung von Menschen in suizidalen Krisen aus allgemeinpsychiatrischer Sicht. „Wir haben die Aufgabe, diese Menschen aufzufangen, zu begleiten und alternative Lösungswege aufzuzeigen“, erläuterte die Chefärztin. Es gebe mittlerweile eine Vielzahl an niederschwelligen Hilfen und Behandlungsangeboten. Jedoch komme es auch selten vor, dass Menschen, die in Behandlung sind, einen Suizidversuch unternehmen und versterben. Dies hinterlasse bei den Teams Spuren und mache sprachlos und betroffen. „Auch wir können letztlich nicht in die Menschen hineinsehen“, betonte die Psychiaterin.

Die abschließende Podiumsdiskussion mit den Referentinnen und Referenten moderierte Simone Binder, Fachkrankenschwester der Depressionsstation in Bad Schussenried. Auch Martha Wahl, Fachärztin für Psychiatrie und Angehörige nach Suizid, unterstützte mit ihrer Expertise. Offene Fragen aus dem Publikum waren etwa: Worauf soll man bei seinen Mitmenschen achten? Wie kann man Betroffene unterstützen? Wie unterscheidet sich die Trauer nach einem Suizid von anderer Trauer? „Manchmal reicht es auch einfach nur da zu sein, zuzuhören, nichts zu sagen und nicht zu verurteilen“, meinte Mockenhaupt. Veränderungen oder Brüche im Leben anderer seien Alarmzeichen. Man solle dann auf sein Bauchgefühl hören und lieber einmal zu oft nachfragen und konkret nachhaken. Die Trauer nach einem Suizid sei anders als beispielsweise die Trauer nach einem Unglücksfall, erklärte Martha Wahl: „Nach einem Suizid wird das Leben davor von den Hinterbliebenen in Frage gestellt.“ In vielen Fällen bleibe im Dunkeln, was der Grund für die Selbsttötung war.

Dr. Bettina Jäpel bedankte sich für die beachtliche Offenheit und den Mut der Betroffenen, ihre Geschichten zu erzählen. Nach der Veranstaltung hatten Interessierte noch die Möglichkeit, sich die Wanderausstellung „Gegen die Mauer des Schweigens“ der Selbsthilfeorganisation AGUS anzusehen.

Foto: Rieke Mitrenga




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